Liberal .. egal?
Die Europawahl hat eines ganz deutlich gemacht: Der traditionelle Liberalismus ist in der schwersten Krise der letzten 60 Jahre. Immer mehr Wähler erliegen den Lockrufen der einfachen Antworten, grundsätzliche Werte wie Freiheit, Eigenverantwortung, Fairness und Chancengleichheit spielen kaum noch eine Rolle.
Dieser 25. Mai 2014 wird als Datum in die Geschichte eingehen. Rückblickend wird man sagen, das an diesem Tag der Anfang vom Ende der “Europäischen Union” eingeleitet wurde. Aufgebaut auf den Hoffnungen der Völker wurde aus einer wichtigen und notwendigen Institution ein undemokratisches, kaum kontrollierbares Monster. Wir Liberale hätten längst den Stecker ziehen müssen, hätten niemals die Machtfülle zulassen dürfen. Wir hätten auf Volksabstimmungen zum “Lissabon Vertrag” oder zur Einführung des Euros bestehen müssen. Wie konnte unter unseren Augen eine zentralistische, aufgeblähte “Europäische Union” entstehen? An welchem Punkt haben wir akzeptiert, das wesentliche liberale Grundsätze wie Susidiarität, Transparenz, Mitbestimmung oder Verantwortung nicht mehr so wichtig sind?
Die Musik spielt nun auf anderen Instrumenten. Die Bühne ist frei für gefährliche politische Strömungen und Politiker, die einfache Antworten versprechen, die “gute alte Zeit” wieder aus der Retorte holen – man riecht förmlich den bürgerlichen Mief der 50er Jahre, der aus Frankreich oder England zu uns hinüber zieht. Natürlich wissen auch Le Pen oder Farage, dass sie nicht werden liefern können. In unserer komplexen, vernetzten Welt gibt es längst keine einfachen Antworten mehr. Deswegen polarisieren und polemisieren sie und treiben schmerzende Keile in die Mitte der Gesellschaft, in dem sie Arm gegen Reich kämpfen lassen, Schwule gegen Heteros, Ausländer gegen Bürger. Billigend wird in Kauf genommen, dass die Gesellschaft dadurch radikalisiert und der soziale Friede gefährdet wird.
Die Hauptprobleme der EU – Zentralismus, Intransparenz, Einschränkung und die Bevormundung der Bürger – werden nicht von Parteien gelöst, die selber von selbsternannten Führungsfiguren quasi im Alleingang gesteuert werden. Wer einen starken Nationalstaat gegen die EU in Stellung bringt darf auch nicht vergessen, dass genau diese Mechanismen in der Vergangenheit immer gescheitert sind.
Der Liberalismus hat hingegen wieder und wieder bewiesen, dass die Stärkung der Verantwortung der Bürger, das Freiheit und Fairness die einzigen Instrumente sind, die das friedliche Zusammenleben der Menschen möglich machen. Und doch sind wir von dieser einfachen Logik weiter entfernt, als jemals zuvor.
Als Liberale können und müssen wir jetzt entscheiden, wie wir uns unsere und unserer Kinder Zukunft vorstellen. Wir müssen uns fragen, welche politischen Instrumente uns überhaupt noch zur Verfügung stehen. Wie wir uns aus der politischen Bedeutungslosigkeit freimachen, Mut schöpfen und wieder einmal – dieses Mal gemeinsam – für unsere liberalen Grundüberzeugungen aufstehen – egal in welcher Partei wir unsere Heimat sehen.
Wirtschaftlich liberal und gesellschaftlich konservativ 🙂 Wenn das geht, sollte man es auch entspr. nennen. Herausforderung fuer Muttersprachler 🙂
Mein Problem mit dem Liberalismus in Deutschland ist, und ich denke viele gerade “moderat linke” Menschen teilen meine Ansicht, dass dieser lange Zeit hauptsächlich durch die FDP verkörpert wurde. Diese wiederum verkörpert in der öffentlichen Wahrnehmung hauptsächlich den wirtschaftsliberalistischen Bereich, mit anderen Worten wirkt(e?) die FDP oft als Partei der Unternehmer. Eine neue liberale Kraft, wie von Ihnen gefordert, sollte sich deshalb vornehmlich auf eine liberale Gesellschaft konzentrieren – Weniger Einmischung des Staates ja, aber vor allem im Privaten und nicht (nur) auf ökonomische Mechanismen konzentriert. Denn mit Freier Entfaltung, Toleranz gegenüber den Mitmenschen etc. können sicher viele etwas anfangen. Mit Deregulierung im Bankensektor und ähnlichen Themen eher wenige.
Ein Beispiel: Eine Mietpreisbremse stellt ökonomisch gesehen einen Eingriff des Staates dar und ist daher abzulehnen. Tatsächlich empfinden die meisten Bürger eine solche aber als sinnvoll, da der ökonomische Mechanismus, der zur Steigerung der Mieten führt, als “ungerecht” empfunden wird. Eine neue liberale Kraft sollte also nicht nur gegen staatliche Unterdrückung, sondern auch gegen ökonomischen Unterdrückung eintreten und daher nicht nur Machtansammlung auf staatlicher Seite, sondern auch auf konzernlicher (ist das überhaupt ein Wort? Ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine…) Seite bekämpfen. Erst dann kann sich das Wort LIBERAL als neue Alternative zu den (mehr oder weniger) großen Volksparteien sowohl auf konservativer (CDU/CSU und teilweise SPD) als auch auf “linker” (dazu zähle ich jetzt mal die Grünen, Teile der SPD und die LINKE) etablieren. Und wird dann eben nicht als, wie im Kommentar oben so schön beschrieben, “wirtschaftlich liberal, aber gesellschaftlich konservativ” abgestempelt.
By the way, Glückwunsch zum Austritt aus der vermeintlichen “Alternative” für Deutschland. Leider ein Sammelbecken von Rückwärtsgewandten aller Couleur, was ich schon anhand der Kommentare auf deren Seite im Vorfeld der Bundestagswahl erkennen konnte.
Robert: Der klassische Liberalismus betrifft alle Bereiche des Lebens. Liberale wenden sich gegen jede Art der Einschränkung, egal ob es moralische, religiöse, wirtschaftliche oder politische Beschränkungen sind. Allerdings muss es aus meiner Sicht selbstverständlich sein, dass die Freiheit des Individuums nur im Zusammenhang mit der Eigenverantwortung betrachtet werden kann. Freiheit ohne Verantwortung funktioniert nicht.